Metzgerturm Ulm
Die Legende macht den schiefen Metzgerturm zu einem der charmantesten Orte Ulms: Zittern vor Angst soll ihn einst aus dem Lot gebracht haben. Tatsächlich erzählen Fundament und Stadtgeschichte viel Spannenderes – typisch Ulm, typisch authentisch
Darf eine Ulmer Legende ein wenig schräg sein? Unbedingt – solange klar ist, dass ihr Wahrheitsgehalt charmant gering bleibt. Die Geschichte rund um den Metzgerturm gehört zu den beliebtesten Erzählstücken der Stadt, auch wenn die tatsächliche Schieflage des Turms ganz andere Ursachen hat.
Wie viele Städte pflegt auch Ulm liebevoll seine historischen Anekdoten – vom Ulmer Spatz über das Fischer- und Gerberviertel bis hin zur Metzig. Eine dieser überlieferten Geschichten erzählt, dass einst Metzger im Turm einsaßen, weil sie in schwierigen Zeiten zu leicht gewichtete Ware verkauft hatten. Als ihnen eine harte Strafe drohte, sollen sie vor Furcht so heftig ins Wanken geraten sein, dass der Turm selbst aus dem Lot geriet. Ein humorvoller Blick in die Ulmer Erzählkultur – und ein beliebter Moment vieler Stadtführungen.
Die Realität ist bauhistorisch spannender: Der 1349 errichtete Turm stand auf zwei unterschiedlichen Fundamentarten. Zur Donau hin gründete er auf der mittelalterlichen Stadtmauer, zur Stadtseite hin jedoch auf Holzpfählen, die im Laufe der Jahrhunderte durch sinkende Wasserstände verfaulten. Erst mit der Betongründung von 1911 stabilisierte sich der Bau, dessen Neigung heute rund zwei Meter beträgt.
Und noch ein weitverbreitetes Missverständnis sei ausgeräumt: Der Metzgerturm war nie ein Stadttor. Turm, Tor und Metzig standen im funktionalen Zusammenhang der Stadtbefestigung, wurden aber zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Bauphasen errichtet. Das Tor zur Donau entstand erst 1930 – lange nachdem die Stadtmauer im 15. Jahrhundert weiter nach Süden verlegt worden war. Übrigens: Das markante Dach des Turms trägt Ziegel, die aus historischen Ulmer Gebäuden stammen und so einen weiteren authentischen Bezug zur Stadtgeschichte schaffen.
Der Metzgerturm zeigt damit beispielhaft, wie Ulm seine Baukultur & Stadtgeschichte selbstbewusst, lebendig und mit einem Augenzwinkern erzählt – und warum dieses Wahrzeichen sowohl für Gäste als auch für Einheimische ein besonderer Ort ist.
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